Ich zeichne seit einigen Monaten (beinahe) jeden Tag ein Tagesbild in mein Tagebuch. Dieses Zeichnen hat das Schreiben meiner Morgenseiten abgelöst und es sind eine ganze Menge kleiner Vignetten entstanden – zum Beispiel diese hier:
- Das Tagesbild vom 2. September zeigt die obere Hälfte eines Gesichtes. Die Person hat die Augen träumerisch geschlossen und ein Lächeln ist am unteren Bildrand angedeutet. An Stelle von Haaren oder einer Frisur „wachsen“ jede Menge Blüten, Blätter und Gräser auf dem Kopf und ein Vogel hat in dieser Fülle Platz genommen. Den Schnabel leicht geöffnet, schaut er nach oben, als wolle er singen. Über der Szene liegt die Monsichel, es ziehen ein paar Wolken über den Himmel und dazwischen blinken die Sterne.
- Hirsch und Reh stehen im Mondlicht auf einer Wiese. Um sie herum wachsen üppig Gräser, Farne und Blumen. Sie haben die Köpfe wie in einer Umarmung einander zugeneigt. Die Mondsichel wirft einen runden Lichtschimmer, innerhalb dieses Kreises sind einige Sterne zu sehen.
- Ein Hase sitzt auf einem Fahrrad, er hat selbstverständlich (!) einen Helm auf dem Kopf. Vergnügt radelt er durch eine hügelige Landschaft. An dem Baum, den er gerade passiert, hängt eine Wimpelkette und hinter dem Stamm lugt verschmitzt ein Fuchs hervor.
- Zwei Vögel sitzen jeweils auf einem Telegrafenmast. Die Masten sind mit Telefonleitungen verbunden. Die beiden Vögel schauen sich an und zwitschern sich einander ein Lied zu. Der Stamm der Masten ist mit Streifen und Ornamenten verziert und es wachsen Äste und Blätter aus den Masten.
- Ein Hirsch steht auf einer Waldlichtung. Auf seinem Rücken hat ein Fasan seinen Platz eingenommen. Über dessen Kopf schwebt ein kleines Krönchen. Im Hintergrund steht die Mondsichel am Himmel und scheint zwischen den Bäumen hindurch. Um die beiden Tiere herum ist eine üppig wuchernde paradiesische Landschaft voller Blumen, Blätter, Moos, Ornamenten und Pflanzen zu sehen. Ein Dompfaff sitzt im Vordergrund auf einer Astgabel.
Diese Tageszeichnungen von mir gibt es auch regelmäßig – quasi noch mit feuchter Tinte – in meinem Twitter-Account (@indivisuell) zu sehen und ich weiß von einigen Leuten, dass sie sich über dieses Bildchen zum Tagsesstart freuen.
Unlängst zeichnete ich ein Motiv, bei dem die Frisur auf einem angedeuteten Kopf durch viele Blätter, Blumen und einen Vogel ersetzt wurde – und prompt wurde ich von meinem Twitterfreund @IVIisterX angesprochen, ob ich denn dieses Motiv für unsere gemeinsame Twitterfreundin @traumspruch „sichtbar“ machen könnte.
Er meinte, dass dieses Bild so schön die vielen bunten Gedanken und Ideen von ihr symbolisieren würden. Dazu muss man noch wissen, dass @traumspruch blind ist – und zwar erst im Erwachsenenalter erblindet. „Sichtbar“ machen bedeutet in diesem Fall vor allem fühlbar und tastbar machen.
Sichtbar machen
Ich habe diese Frage einige Tage mit mir herumgetragen und die Lösung ist eigentlich ganz einfach. Da ich meine Tagesbildchen mit dem Füller zeichne und es somit rein lineare Grafiken sind, lässt sich das Motiv leicht auf eine Prägefolie übertragen und so als Relief tastbar und fühlbar machen.
Der Rest war dann ganz einfach. Ein letztes Hindernis gab es noch: nämlich die Frage, wie man ein Bild so rahmt, dass das Passepartout mitsamt dem Relief zugänglich bleibt und nicht hinter dem Glas liegt, wie es eigentlich bei Bilderrahmungen üblich ist.
Hier hat mir der kompetente Mitarbeiter beim Künstlerbedarf-Großhandel boesner sofort eine Antwort geben können: Das Glas wird einfach nicht als erstes, sondern als letztes in den Rahmen gelegt – also HINTER das Passepartout. Ich hätte ja wieder was umständliches mit Abstandshaltern gebaut, aber die guten Lösungen sind immer ganz simpel.
Ich hoffe, dass meine blinde Freundin @traumspruch auf diese Weise das Bild fühlen kann – und wenn sie es dann auf ihre Art gesehen hat, ist es prinzipiell möglich, die Reihenfolge der Rahmung zu ändern und das Relief hinter das Glas zu packen.
Danke an @IVIisterX für die Idee mit dem Relief.
Barrierefrei leben
Die ganze Aktion hat noch einen weiteren Hintergrund:
@traumspruch ist durch die Späterblindung sehr eingeschränkt und der einzige Kontakt in die virtuelle Welt findet momentan über ein Smartphone statt. Damit ist es sehr mühsam, im Internet wirklich barrierefrei unterwegs zu sein.
Eine kleine Gruppe von Twitterern um @IVIisterX legt gerade deswegen zusammen, um @traumspruch ein besseres Arbeitsgerät zu finanzieren, um ihr neben den ganz alltäglichen Problemen mit Barrieren wenigstens einen leichteren Zugang ins Internet zu ermöglichen.
Im Moment laufen gerade die Recherchen, welcher Computer es genau sein soll, welche technischen Spezifikationen nötig sind und welche Programme einen möglichst guten barrierefreien Zugang zum Internet ermöglichen.
Als meinen Beitrag zum neuen Computer für @traumspruch habe ich die schönsten Tagesbilder-Motive als Klappkarten drucken lassen. Vom Erlös aller verkauften Grußkarten (Motiv egal) bis zum 30. November fließen 50% direkt in diese Aktion.
Die Karten sind hier erhältlich: Link zum Shop: [klick]